Jonas

 

Jonas ist neun Jahre alt. Er hat ein Problem. Er ist so klein und still, dass ihn die anderen oft gar nicht bemerken. Er mag Computerspiele und liest gern ein span­nendes Buch. Dann vergessen seine Eltern manch­mal, dass er im Haus ist. Sonst sind sie die besten Eltern, die sich ein Kind wünschen kann. Aber im Übersehen von Jonas sind sie leider Weltmeister.

In der Schule ist es nicht anders. Dort spielt Jonas am liebsten Völker­ball. Aber er kriegt nur selten den Ball. Die anderen Kinder bemerken meist gar nicht, dass Jonas mitspielt. Dann denkt Jonas: „Ich möchte so groß und stark sein, dass mich keiner übersehen kann!“

Im letzten Sommer aber war das anders ...

 

 

Die silberne Kugel

 

Letzten Sommer besuchte die Familie Onkel Bruno. Das war nicht einfach ein Sonntagsausflug. Onkel Bruno lebt in Amerika. Er wohnt in Florida. Ganz in der Nähe von Cape Canaveral. Das ist der Ort, von dem aus die Space Shuttles starten.

„Vom Hügel hinter meinem Haus kannst du die Startrampe sehen!“, hatte Onkel Bruno in einer E-Mail an Jonas geschrieben.

Manchmal, wenn ihn wieder einmal jemand übersehen hatte, träumte Jonas davon, ein Superheld zu sein. Einer, der durchs Universum flog. Der auf fremden Planeten Superheldentaten voll­brachte. Und ganz neben­bei einen neuen Ring des Saturn entdeckte. Deshalb freute er sich schon sehr, das Space Shuttle einmal in Wirklichkeit zu sehen. Damit er es auch ganz

genau betrachten konnte, packte er sein Piratenfernrohr ein.

In Onkel Brunos Haus angekommen, holte Jonas das Fernrohr gleich aus dem Koffer. Die Eltern waren noch damit beschäftigt, das Haus zu besichtigen. Keiner nahm von Jonas Notiz, als er hinausschlich. Er kletterte auf den Hügel. Von dort aus sah er wirklich und wahrhaftig das Space Shuttle auf seiner Rampe. Durch das Fernrohr wirkte es sogar ziemlich nah. Die letzten Startvorbereitungen wurden gerade getroffen.

„Wie gern würde ich einmal mitfliegen“, dachte Jonas wehmütig. „Als Astronaut wäre ich ein Held. Niemand würde mich mehr übersehen!“

Ein Stück entfernt war der Waldrand. Dort entdeckte Jonas etwas sehr Ungewöhnliches. Zwischen zwei Bäumen waren Seile gespannt wie eine Schleuder. Dazwischen hing eine silbergraue Kugel, so groß wie ein kleines Zimmer. Etwas, das wie ein Saugnapf aussah, war an der Vorderseite angebracht.

Jonas kletterte den Baum bis zu der Kugel hoch. Dort befand sich eine schmale Tür. Ohne zu überlegen, schlüpfte Jonas hinein. Hier gab es einen Schrank, ein kleines Fenster und einen Tisch mit Stuhl davor. Auf dem Tisch stand ein Computer. Er war eingeschaltet und blinkte und piepste. Davor stand ein Kästchen mit einem großen roten Knopf.

Auf einmal hörte Jonas eine Stimme. „Verflixt, ist der schwer!“, schimpfte jemand.

In der Tür tauchte eine Gestalt auf. So schnell er konnte, versteckte sich Jonas im Schrank. Darin hing ein Kleidungsstück, das wie ein silbergrauer Skianzug aus­sah.

Jonas spähte hervor. Ein kleines Männlein kam in die Kugel. Es zerrte hinter sich einen großen Koffer her. Es schloss die Tür und verriegelte sie. Dann setzte es sich in den Stuhl und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Es tippte ein paar Befehle in den Computer und murmelte: „Na, dann los!“ Und drückte auf den roten Knopf.

Ein Ruck ging durch die Kugel. Jonas fiel mit dem Kopf gegen etwas Hartes. Er rieb sich die Stirn. Zuerst konnte er nicht glauben, was er sah. Dann sah er nur noch Sterne. Das hatte seinen guten Grund ...